Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T12

Die Pariser sind mit Abstand die rücksichtslosesten Autofahrer, die ich bis jetzt gesehen habe. Klischees bewahrheiten sich. Während des dicksten Straßenverkehrs, der rush‑hour, fährt da ein großer, weißer BMW in eine Parklücke, die ich nicht einmal mit einem Mini Cooper angesteuert hätte. Voila, eine artistische Leistung, die wohl vor allem der Parkplatznot entspringt, die in Paris herrscht. Hier gibt es keine Fahrbahnbegrenzungslinien wie bei uns, manchmal stehen drei Autos nebeneinander, oder aber vier und mehr. Für mich ist das ein chaotischer Verkehr, der aber trotz allem funktioniert. Jetzt gerade setzt ein Auto aus einer Parklücke so zurück, dass es gegen das Auto hinter ihm stößt bis es wackelt und scheppert. Der Fahrer kümmert sich überhaupt nicht  darum und fährt fort als sei nichts gewesen. Schon verrückt diese Pariser.

Man setzt sich in ein Straßencafe und plaudert oder betrachtet einfach die vorübergehenden Leute. Die Augen der Männer sind ständig in Bewegung, aber wenn eine Frau vorübergeht scheinen sie versteinert zu sein. Ich muss an die steinerne Sphinx denken. Es regnet in Strömen, so dass ich meinen Wunsch nach Sehenswürdigkeiten erst einmal zurückstelle.

Bevor ich  riskiere bis auf die Haut nass zu werden, weihe ich lieber mein Notizbuch mit den ersten Reisenotizen ein. Langsam beschlagen die Scheiben und das Beobachten fällt schwer. Was machen die Männeraugen? Sie schauen immer noch wie versteinert auf die regennasse Straße. Abgelenkt werde ich von neun jungen Franzosen, die scheinbar vor dem Regen geflüchtet sind. Sie haben sich an den Nebentisch gesetzt und schießen jetzt mit Papierkügelchen, die sie mit Druck durch ihre Strohhalme pusten.

Schon verrückt, bei Dauerregen und maximal 14 Grad laufen die Mädchen im Minirock herum, haben weiße Sachen und eine Daunenweste an. Mir scheint, dass sie ihre Kleidung nicht nach dem Wetter richten, sondern sich das Wetter gefälligst nach ihnen richten soll. Sie laufen in der Kleidung herum, die sie gerade zeigen wollen, ob sie zum Wetter passt, ist völlig zweitrangig. Ich bin noch nicht lange hier, aber mir scheint, die Pariser sind ein Volk von Narzissten und Spannern. Wobei die Frauen die Rolle der Narzissten übernehmen und den Männern das Spannen zufällt. Obwohl auch die Männer ziemlich gewagt angezogen sind, nicht direkt ausgeflippt, aber doch hat jeder seinen eigenwilligen Stil. Wobei ich feststellen muss, dass dies auch noch altersabhängig zu sein scheint. Je älter, desto ausgeprägter ist  ihr Stil.

Will der Regen denn gar nicht aufhören? Ich wäre auch gern so ausgelassen wie die jungen Franzosen am Nebentisch, aber mir fehlt eine Bezugsperson. So schwelge ich lieber in Gedanken und beobachte weiter. Paare gehen Arm in Arm vorbei und schauen sich verliebt an. Der Mann legt schützend seine Jacke über ihre Schultern.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T11

Am anderen Morgen sah die Welt schon viel freundlicher aus, nicht nur weil ich geschlafen habe wie ein Brett, sondern auch weil der Himmel erbarmen mit mir zeigt: es hat aufgehört zu regnen.

Ich versuche noch einmal Hans zu erreichen. Wieder nichts. Ich stecke den Brief, den mir Ulf mitgegeben hat in den Briefkasten und will weiter trampen nach Antwerpen. Noch schnell etwas für unterwegs gekauft. Aber Pech gehabt, die Geschäfte machen erst in einer halben Stunde auf. Vollmilch und ein paar Pakete Mars als Marschverpflegung. Ein paar Riegeln schlinge ich auf der Straße herunter.

Die Leute gaffen‑ sollen sie ruhig. Jetzt brauche ich ne Bank, um Gulden in belgische France zu wechseln. Wieder viele Kilometer zu Fuß und mit vollem Marschgepäck. Nachdem das erledigt ist, suche ich nach einer Ausfallstraße in Richtung Antwerpen. Niemand hält. Die Welt ist schlecht und meine Eltern hatten Recht. Ein paar kurze Lifts von 5‑ 20 Kilometern bringen mich nur sehr langsam voran. Ich brauche 12 Stunden für die 200 Kilometer von Amsterdam nach Antwerpen! Von meinem Heimatort zur holländischen Grenze waren es gerade mal 9 Stunden und das zwischen 20.00 und 4.30 Uhr.

Antwerpen, Brügge, Gent

Fällt weg, da ich keine Lust zum Schreiben gehabt hatte. War aber auch bis auf ein paar kleine zwischenmenschlichen Begegnungen nichts Besonderes.

Paris 14/15. Sept. 1984

Ich sitze im Straßencafe am Boulevard St. Germain und beobachte die Leute. Mein  erster Eindruck: Menschen, Menschen, Autos und eine rege Betriebsamkeit. So viele Menschen und alle in dieser riesigen Stadt mit ihren alten Bauten und Millionen von Tauben. Ich musste durch die halbe Stadt laufen, weil kein Hotel mehr ein Zimmer für mich hatte. Jetzt habe ich ein viel zu teures Zimmer gefunden, für 90 Francs aber mit Breakfast und Shower.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T10

Ich werde mich an die schwere Last erst noch gewöhnen müssen. Am besten versuche ich gut freund zu sein mit meinem Rucksack, wenn ich ihn schon durch halb Europa schleppe. Hans ist wieder nicht da. Dann werde ich eben erst telefonieren.

Man, dieser Regen! Alle Apparate sind besetzt. Warten! Will dieser Typ denn überhaupt nicht aufhören zu telefonieren? Gott sei Dank, neben ihm der Apparat wird gerade frei. Zu früh gefreut: der Apparat akzeptiert nur 25 Cent‑ Münzen. Wieder warten. Telefoniert der mit seinem ganzen Stamm? Ich friere. Endlich geht er. Wie war doch gleich die Nummer, die mir der freundliche Holländer gegeben hat, der mir den Lift Groningen ‑Amsterdam gab? 09 49‑ dann die 0 von der Vorwahl weglassen und die Ziffern des Anschlusses wählen. Wer hätte an die ganzen verschiedenen Vorwahlen denken können, die man im Kopf oder zumindest auf einem Zettel haben sollte? Das Rufzeichen ertönt‑ dann eine Stimme, leise aber doch überraschend deutlich: meine Mutter ist dran. Sie fragt nicht viel, ich lasse sie nicht dazu kommen. Ich erzähle, was mir gerade einfällt. Klick schon wieder eine Münze durchgefallen. Telefonieren ist nicht billig.

Jetzt fällt mir auf, dass der Hörer ganz heiß ist. Wie weit hat der Dunkelhäutige telefoniert, Äthiopien oder Südafrika?  Das Geld ist alle. Ich stehe wieder allein im Regen in dieser riesigen fremden Stadt. Noch einmal zu Hans. Ich klingele. Es steht kein Namensschild draußen an der Tür aber die Hausnummer stimmt. Nichts passiert. Was nun?

Ich habe Hunger, richtig Kohldampf. Ich kaufe mir Milch und eine Flasche Wasser. In meiner Tasche habe ich noch etwas Schokolade. Nicht gerade das gesündeste und nahrhafteste Essen, aber mein Magen ist schon dankbar für Kleinigkeiten. Die unregelmäßige Nahrungsaufnahme und die Qualität der Nahrung machten meiner Verdauung arg zu schaffen. Dies Problem wollte ich in den Griff bekommen, wenn ich erst einmal irgendwo angekommen war. Oh je, jetzt wieder die 7 Kilometer zu Fuß zurück zur Jugendherberge. Gott sei Dank, ohne Rucksack. Das ist ja schon einmal ein Vorteil. Ich werde zum Berufsoptimisten.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T9

Die Herberge liegt fast am Ende der Stadt und zudem in der Nähe des „Red Light District“, also des Rotlichviertels von Amsterdam. St. Pauli auf holländisch. Hier gibt es viele Ausländer, hauptsächlich tamilischer Herkunft, aber auch alte Kirchen wie den Munt und tolle Grachten. Wie sieht Amsterdam wohl bei Sonnenschein aus? Viel zu schwierig, sich dies vorzustellen bei dem Dauerregen.

Hasch? Was, Hasch? Nein, Danke! Wirklich sehr freundlich, aber „no interested“. Oh man, ist der hartnäckig. Was? Wo ist die Kneipe? Kannst Du mir nicht  vielleicht sagen, wo ich zum Klowenirsburgwaal komme? Jeugdherberges! Do you understand? Oh man, noch so weit? Ich kann nicht mehr, der Rucksack bringt mich noch um. Ich schwitze und habe noch nichts gegessen. Anrufen! Ich muss zu Hause anrufen und durchgeben, dass ich noch lebe. Sehe ich so aus, als wenn ich nach Amsterdam komme um mir Hasch reinzuziehen? Wenn ich mich jetzt selbst so sehen könnte, mit meinem Rucksack, der mir den Rücken bricht, durchgeschwitzter Kleidung und mit dreitage‑Bart, dann verstehe ich, warum er mich angesprochen hatte.

Hoffentlich ist Ulfs Freund und Griechenlandbekanntschaft wenigstens da, dann kann er mir ein paar Tipps geben, was man hier in Amsterdam anstellen kann und, wo es billige Unterkünfte gibt. Vielleicht hat er auch Platz, um mich ein zwei Tage aufzunehmen. Hans heißt er. Da ist sie ja endlich, die Jugendherberge. 

Endlich, geschafft. Puh, ich bin todmüde. Ich habe gar keine holländischen Gulden, fällt mir bei der Anmeldung ein. Man ist darauf vorbereitet, dass einige Möchtegern‑ und Anfängerglobetrotter nur heimische Währung dabeihaben. Sechzehn Gulden pro Nacht in einem Schlafsaal verlangen sie. Nicht schlecht für eine Jugendherberge, denke ich. Beim Wechseln hauen sie mich auch noch einmal über s Ohr. Wechselkurse müsste man eben kennen und möglichst aktuelle dazu. Mürrisch zahle ich das erste Lehrgeld und bin aber froh, duschen zu können. Endlich ohne den schweren Rucksack, was für eine Erleichterung.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T8

Kaum zu glauben, dass man mit ein paar Schritten schon in einem anderen Land sein soll. Die Luft ist die gleiche und sogar der Boden ist der gleiche wie bei uns; nur die Straßenschilder sehen anders aus.

Nach etlichen Stunden an der Grenze und unzähligen Kaffeetassen, fand ich jemanden der mich bis Groningen mitnehmen wollte. Wir hatten überraschender- weise kaum Verständigungsprobleme, was daran liegen sollte, das sowieso fast jeder Holländer Deutsch sprechen sollte. Die Betonung liegt auf fast, wie ich hinterher noch ausgiebig feststellen sollte.

Holland ist klein und so sprechen nicht viele Leute holländisch, so dass sich die Holländer genötigt sehen, andere Sprachen zu lernen. Englisch und Deutsch stehen dabei ganz oben an. Allerdings bedeutet sprechen können noch nicht sprechen wollen! Manche ältere Holländer schalten einfach auf stur sobald sie deutsche Sprache hören. Das Muss irgendwie eine alte Erzfeindschaft von früher her sein, wo es um darum ging, Grenzen zu ziehen. Irgendwie muss mir dieser „Krieg“ im Geschichtsunterricht verborgen geblieben sein.

Aber die Deutschen haben ja nicht umsonst so schöne Bezeichnungen wie „Käsköppe“ und „Pfeffersäcke“ für die Holländer im petto. Die holländische Bezeichnung für uns Deutsche habe ich übrigens vergessen. Aber so schön war sie nicht.

Es regnet in Amsterdam. Die Stadt ist sehr dreckig. Überall muss man aufpassen, nicht in einen von diesen Millionen Haufen Hundedreck zu treten. Der Rucksack liegt schwer auf meiner Schulter, er schmerzt sehr, obwohl der Schweiß ein wenig Abkühlung bringt. Ich bin klitschnass. Von außen durchweicht mich der Regen, von innen der Schweiß. Hoffentlich erkälte ich mich nicht. Immerhin habe ich ein paar Medikamente für den Notfall mitgenommen. Überall Abfälle und Hundescheiße. Die ganze Welt scheint voll davon. Wie kann man nur einen Hund in eine so große Stadt wie Amsterdam bringen? Und dann müssen es ja gerade die ganz großen Hunde sein, die man vorzeigen kann wie einen Mercedes. Oft genug versteckt sich hinter einem großen Hund nur der kleine Mut seines Besitzers. Arme Hunde.

Die Mädchen sind alle sehr hübsch. Keine ist dabei, die nach deutschen Maßstäben als hässlich betrachtet werden würde. Für mich gibt es sowieso die Unterscheidung hübsch/hässlich nicht für Menschen. Es gibt nur Leute, die mir sympathisch sind, oder eben nicht. Das ist absolut nicht das Gleiche; denn jemand, der hässlich ist, bleibt auch hässlich, weil es dafür eine Norm gibt, (die wer eigentlich aufgestellt hat?)während jemand der mir unsympathisch ist, immer noch die Chance hat, mir später noch sympathisch zu werden. Bei Anti‑ und Sympathie stelle ich allein die Norm auf.

Wer mir sympathisch ist, empfinde nur ich und kein anderer. Amsterdam ist groß. Ich frage mich durch bis zur Jugendherberge.  Ein Telefon als Münzapparat liegt genau entgegengesetzt zur Jugendherberge, so dass ich mich entschließe, die Griechenlandbekanntschaft von meinem Freund Ulf, später zu kontaktieren. Ich laufe und trage und frage und trage und frage und trage…

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T7

Meine Gefühle lassen sich so beschreiben: Ich war Stolz auf die vollbrachte Leistung und bekam so richtig das Gefühl von Freiheit und Abenteuer. Da machte es auch nichts, dass es verdammt kalt war und der Rucksack wie Blei auf  meinem Rücken klebte. Allerdings wich dieses Gefühl immer mehr einer Art Neugier, wo mich dieses Arschloch von Fahrer hier in die Botanik geschickt hatte. Hatte ich mich so sehr getäuscht in diesem freundlichen dicken Herrn, der mir zu meinem ersten Lift verholfen hatte?

Und hat dieser Witzbold vielleicht gerade aus mir einen Globetrottel gemacht? Bis jetzt glaubte ich an meine Menschenkenntnis. Zweifel nagten an mir und mein Rücken schmerzte. Er  musste sich erst an die Riemen und die Beschaffenheit des Rucksacks gewöhnen. Die neuen Trekking Schuhe ließen mich schnell erahnen, an welchen Stellen ich die ersten Blasen bekommen werde. Verflixt, wie weit ist es denn noch? Nur ein paar Kilometer meinte der Brummi-Pilot. Was glaubt der denn? Ich wollte doch nicht die ganze Welt zu Fuß erobern.

Sechs bis sieben Kilometer weiter, die mir wie hundert vorkamen, fand ich schließlich ein verschlafendes Nest, dessen Straßenbeleuchtung funktionierte. Ich stellte mich unter eine Laterne und hatte Glück, dass dort ein Wartehäuschen für den Linienbus stand. So war ich wenigstens ein bisschen vor dem kalten Wind geschützt. Das um diese Uhrzeit kein Mensch weit und breit zu finden war, störte mich nicht, denn schließlich hatte ich meinen Walkman mit ausreichend Musik mitgenommen und hörte mir jetzt Cat Stevens an. Ein echtes Erlebnis. „There are million ways to go“ hieß es da im Songtext.  Mir hätte schon einer gereicht.

Amsterdam 11/12. September 1984

Ich weiß nicht mehr genau wie, aber irgendwie, Gott sei es gedankt, bin ich in Holland angekommen. Die erste Grenze, die ich zu überqueren hatte, war geschafft. Nach ein paar unfreundliche und argwöhnischen Blicken der Grenzbeamten und einer gründlichen Zollkontrolle durfte ich offiziell einreisen.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T6

Nun, zuerst einmal wollte ich mir beweisen, dass ich ein ganzer Kerl bin, der auch etwas aushält. Und dann sollten alle anderen staunen, wenn sie Postkarten von mir aus aller Herren Länder bekämen. Ein  Holländer  winkte gestenreich ab, er fährt nur  bis da und da, habe ich nicht genau verstanden. Aber dass dies nicht mein Lift werden würde, hatte ich begriffen.

Eigentlich ein komisches Volk diese Brummifahrer. Sie sitzen da in ihrem Dreizigtonner Diesel und wissen, ihnen gehört die Straße. Unverschämtheit oder doch nur die ganz normale Folge des erhöhten Standpunktes, oder besser gesagt: Sitzpunktes?

Mein allererster Lift endete weit nach Mitternacht irgendwo auf der Autobahn bei Oldenburg. In meiner Verzweiflung nahm ich den erstbesten LKW-Fahrer, der nicht Nein sagen konnte, und mich tatsächlich mitnehmen wollte. Da machte s dann auch nichts, dass er nur einen Teil des Weges  meiner Route  fuhr. Ich tastete mich langsam vor und fing an zu reden. Die Themenauswahl fiel mir trotz vorgerückter Stunde nicht schwer, da ich vorgab neugierig  zu sein auf alles was mit LKWs zu tun hat. Irgendwie haben die schon merkwürdige Ansichten diese Brummi-Fahrer. Es war aber erst ein kleiner Vorgeschmack auf das,  was da  noch auf mich warten sollte.

Ich war etwas erstaunt, mit welcher Sorglosigkeit der große Laster auf der Autobahn einfach anhalten konnte, um mich vor einem AB-Kreuz abzusetzen. Natürlich war es schon spät und die Autobahn war nicht voll befahren, aber es nötigte mir schon eine gehörige Portion Achtung ab. Und wie ich noch darüber nachdachte, was mir der Fahrer über meinen Weg gesagt hatte, marschierte ich, den Rucksack geschultert, die steilen Treppenstufen herab auf eine Landstraße. Es war Vollmond und so hatte ich keine Schwierigkeiten, meinen Weg zu finden. Es war als gerade so, als wenn die Götter mir bei meinen ersten zaghaften Versuchen als Globetrotter beistehen wollten. So marschierte ich um 2 Uhr morgens auf einer idyllischen Landstraße in der Nähe von Oldenburg bei Vollmond über die Felder.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T5

Warum tat ich nicht das, was fast alle meine Freunde und Schulkameraden taten? Zuletzt konnte ich überhaupt keine vernünftigen Gründe mehr für die Reise finden und da wusste ich, dass es an der Zeit war,  loszuziehen. Wenn ich jetzt nicht wegkomme, dann nie mehr dachte ich. Auch wenn die Jahreszeit nicht gerade günstig für eine Tramperreise war, immerhin hatten wir bereits September und die Nächte wurden schon verflixt kalt, stand ich nun allein an der Raststätte. Wir hatten noch gemeinsam einen Kaffee getrunken.

Meine  Freunde hatte ich  dann weggeschickt, weil ich mich ein wenig schämte, die Leute anzusprechen. Es kostet mich ganz schön Überwindung, fremde Menschen um etwas zu bitten und sei es auch nur um die Mitnahme bis zu einem vereinbarten Ort. Ich setzte mich erst noch einmal rein und fummelte an meinem Rucksack herum, obwohl gar nichts in Ordnung zu bringen war. Vielleicht hatte ich die Hoffnung, dass mir irgendjemand von sich aus anbot, bei ihm mitzufahren. Doch darauf konnte ich lange warten. Nein, ich musste die Initiative ergreifen, sonst würde ich hier verschimmeln.

Ich tat einen ersten zaghaften Versuch. Ein Urlauber machte ein freundliches Gesicht, deutete dann aber auf sein vollbesetztes Auto und zuckte mit den Schultern. Ein Anfang war gemacht. Und so schlimm war es gar nicht. Ich machte weiter. Ich konnte nur gewinnen. Eine Absage nach der anderen bekam ich und nahm es anfangs noch persönlich. Sah ich denn so schlecht aus? Musste man Angst vor mir haben? Merkte man nicht, dass ich viel mehr Angst hatte als alle anderen? Ich beobachte die Leute, um herauszufinden, bei wem ich die größten Chancen hätte. Aber ich dachte, wenn ich alle anquatsche, dann ist meine Chance größer mitgenommen zu werden. Ich schaute ungeduldig auf die Uhr.

Zwei Stunden war ich bereits hier und konnte mich nur mit dem Gedanken trösten, dass mir ab jetzt die Welt offen stand. Ich versuchte etwas von der Zukunft zu erahnen, die mir bevorstand. Ich hielt meine Nase in den  Kaffee‑ und Rauchgeschwängerten Dunst der Autobahnraststätte. Ich musste mal auf Toilette gehen und schon wurde mir bewusst, dass ich ein Problem hatte. Wo sollte ich hin mit meinem 60 Liter‑Rucksack? Ich versuchte ihn mitzunehmen, was sich aber als schwierig herausstellen sollte. Es war das erste Mal, dass mir richtig bewusst wurde, das all meine Habe in diesem Rucksack war. Schließlich ließ ich ihn so vor der Tür  stehen, dass ich seinen Schatten unter der Tür noch sehen konnte.

Ich ahnte, dass ich mit diesem Problem demnächst öfters zu kämpfen hätte. Nachdem ich mich so erleichtert hatte, nahm ich einen neuen Anlauf. Ich ging hinaus um dort LKW‑Fahrer zu erwischen, die ich fragen konnte. Niemals hätte ich mir die Blöße gegeben und wäre umgekehrt. Zu groß wäre die Schande gewesen. Allen wollte ich es beweisen. Was eigentlich?

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T4

Ich steuerte also Paris an und da Amsterdam, Antwerpen, Brügge und Gent  mit auf dem Weg lagen, gehörten sie zu meiner Route gleich dazu. Von Paris aus sollte es dann nach St. Malo gehen, in ein altes Piratennest direkt am Meer. Der Weg sollte dann fortgesetzt werden mit Orleans, Lyon, Aix‑En‑Provence, Montpellier, Barcelona, Madrid, Santander, Salamanca, Coimbra, Lissabon, an die Algarve, Sevilla, Cadiz und Gibraltar.

Von Gibraltar aus wollte ich mit einem Schiff übersetzen nach Marokko. Die leuchtenden Märkte von Marrakesch mit ihren orientalischen Teppichhändlern interessierten mich sehr. Wie es von da aus weiterging, wusste ich noch nicht.

Aber mir war klar, dass diese feste Reiseroute nur ein roter Faden sein konnte für meine Reise, eine ungefähre Richtung, die aber jederzeit flexibel abgeändert werden konnte. Der Zufall würde meinen Weg schon lenken, davon war ich überzeugt.

Ein bisschen hatte mich die Abenteuerlust gepackt. So ähnlich mussten sich die Glücksritter in Alaska auch gefühlt haben. Schöner Gruß an Jack London. Nach dem Studium von vielen Reisebüchern und Ausrüstungskatalogen, hatte ich endlich meine Ausrüstung zusammen.

Trotz sparsamster Gewichtsverteilung kamen immerhin noch 25 Kg  zusammen, die ich nun durch die Gegend schleppen sollte. Immer und immer wieder durchsuchte ich meine Ausrüstung nach überflüssiger Verpackung und anderen Platz‑ oder Gewichtraubenden Gegenständen. Ich füllte den Inhalt großer Glas‑Flachen in kleine leichte Plastikfläschchen und wurde schließlich zum Meister des Einpacken.

Wenig gebrauchte Dinge kamen nach unten und oft benötigte Sachen wurden griffbereit in die zwei äußeren Reißverschluss-Taschen des Rucksacks verstaut. Was ich allerdings oft benötigen sollte und was nicht, stellte sich erst im Verlauf der Reise heraus, so dass meine Vorüberlegungen zwar nützlich waren aber erst während der Reise zur Geltung kommen sollten. Hauptsächlich dienten sie in diesem Stadium dazu, meine Nerven zu beruhigen und mir zu zeigen, dass ich alles gut vorbereitet hatte. Das war durchaus  angebracht, denn je näher der Tag des Abschieds kam, desto mehr Zweifel kamen mir über den Sinn meiner Reise.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T3

In der Schule habe ich glauben müssen, was man mir über das Leben erzählte.

Aber das waren meist subjektive Meinungen, die ich nicht vorbehaltlos übernehmen wollte. Es gab nur wenige Lehrer, denen ich eine objektive Meinung über das Leben zutraute. Ein Spruch an einer Wand des Schulgebäudes machte mich auf die Problematik des Lehrer‑Schülerverhältnisses aufmerksam:

„Wie kann ich lernen, was Sie wissen, ohne zu werden  wie Sie sind?“ stand da geschrieben.

Wollte ich so werden, wie meine Lehrer, Eltern oder sonstigen Vorbilder? Alle guten und leider  auch  schlechten Lehrer  werden irgendwann einmal zu Vorbildern. Nein, auf keinen Fall wollte ich zu den  Spießbürgern zählen, den Angepassten in unserer Gesellschaft.

Ich wusste nicht genau, was ich werden wollte, aber ich wusste ziemlich genau, was ich nicht werden wollte. Irgendetwas erwartet mich da draußen, das wusste ich genau und das Fernweh wurde immer schlimmer. Unzählige unglückliche Liebesversehen taten ein Übriges um mich hinauszutreiben in die große weite Welt. Ich kramte den alten Atlas meines Vaters hervor und legte mir eine Reiseroute zurecht. Gar nicht so einfach eine Route so willkürlich festzulegen. Zu viele Möglichkeiten gibt es da, wohin man gehen könnte. Gleichzeitig ergriff mich vor dem ausgebreiteten Atlas aber ein Gefühl von Freiheit. Ich konnte hingehen, wo immer ich hin wollte. Ein herrliches Gefühl. Die armen Leute in der  DDR dachte ich damals, welche Einschränkung ihr Leben doch durch die Mauer und das Regime, das diese erbaute, erfahren  musste.

Es gab Städte mit klangvollen und geheimnisvollen Namen, aber auch welche, die mir überhaupt nichts sagten. Manche Namen waren für mich einfach uninteressant. London ist so eine Stadt, die mich nicht neugierig machte. Paris dagegen faszinierte mich allein von meiner Vorstellung über Paris. Die Stadt der Liebe und Revolution. Nirgendwo sonst gibt es diese Leichtigkeit des menschlichen Daseins. Jede Straße erzählt von geschichtlichen Ereignissen und wenn man nachts auf den Boulevards spazierte, würde man mit etwas Glück bestimmt Napoleons Geist auf seinem Pferd durch die Straßen reiten sehen.